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Für das Überleben ist Durchsetzungskraft und Anpassungsfähigkeit nötig – und das Verständnis von Beschränkungen. Ihr müsst lernen, was eure Welt von euch verlangt – was sie von euch braucht. Jeder Organismus trägt dazu bei, das Ökosystem am Leben zu erhalten. Jedes Lebewesen hat seine eigene Nische.
Liet-Kynes, Imperialer Planetologe
Obwohl Junction das Hauptquartier der Raumgilde war, würde kein Besucher freiwillig auf dieser Welt leben wollen.
»Ich weiß nicht, wie lange ich das endlose Warten noch ertrage«, schimpfte Rhombur. »Ich will endlich nach Ix!«
Er und Gurney Halleck mussten sich in einem Erholungsbereich für Passagiere aufhalten, der weit von den gewaltigen Raumhäfen und Wartungsdocks für die Heighliner entfernt war. Sie liefen über ein karges Blakgras-Feld, das nach Rhomburs Meinung ansonsten als Schule für Navigatoren genutzt wurde. Aber niemand wollte ihm irgendwelche Fragen beantworten. Die Mittagssonne verbreitete schwaches, trübes Licht.
Trotz ihrer wiederholten Bitten und Bestechungsversuche war es den zwei Agenten bislang nicht gelungen, eine Nachricht nach Caladan zu schicken. Die Gilde hatte sämtliche Passagiere des gestrandeten Heighliners isoliert und hielt sie praktisch auf Junction gefangen, als wollte man die Neuigkeiten von der Katastrophe und dem toten Navigator unter Verschluss halten. Mit großer Wahrscheinlichkeit wusste Herzog Leto noch gar nichts davon. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt musste er davon ausgehen, dass seine beiden Agenten auf Ix eingetroffen waren und mit ihrer Untergrundarbeit begonnen hatten. Das Haus Atreides verließ sich auf sie.
Aber wenn Rhombur nicht bald etwas bewirken konnte, würde sich diese Vermutung für die Streitmacht der Atreides als fatal erweisen.
Aufgrund seiner inneren Unruhe bewegte sich der Cyborg-Prinz ungewöhnlich ruckhaft. Gurney konnte das Klicken seiner mechanischen Prothesen hören. Hunderte weiterer Passagiere aus dem geretteten Heighliner tummelten sich auf dem Blakgras-Feld. Nachdem sie nun in Sicherheit waren, ließen die gestrandeten Reisenden einen beständigen Strom von Beschwerden los und regten sich über die vielen Unannehmlichkeiten auf. Junction war ein sicheres Gefängnis; sie würden den Planeten nicht verlassen können, solange die Gilde es ihnen nicht gestattete.
»Man erfährt Gott nur durch Geduld«, zitierte Gurney eine Passage aus der Orange-Katholischen Bibel, die seine Mutter häufig vorgelesen hatte. »Es gibt keinen Grund, uns noch länger hier festzuhalten. Die Ermittlungen müssten längst abgeschlossen sein.«
»Was hoffen sie von den isolierten Passagieren zu erfahren? Warum wollen sie nicht, dass wir mit Leto Verbindung aufnehmen? Verdammte Gilde!« Rhombur senkte die Stimme.
»Wenn du eine Nachricht schicken könntest, würdest du dem Herzog sagen, er soll noch mit dem Angriff warten?«, fragte Gurney, obwohl er bereits wusste, wie Rhombur antworten würde.
»Niemals, Gurney. Niemals.« Er starrte über das triste Feld. »Aber ich will dabei sein, wenn es geschieht. Wir müssen es irgendwie schaffen.«
Obwohl der Prinz in der Heighliner-Katastrophe zum anonymen Held geworden war, behandelten die Gildevertreter die zwei Männer nun wie ganz gewöhnliche menschliche Fracht, die auf ein anderes Schiff umgeladen werden musste, das sie zu ihrem ursprünglichen Ziel bringen würde (hoffentlich mit intakter Kampfgondel). Einen ganzen Monat lang hielt man sie schon auf dieser kargen Welt fest und hatte sie über jeden Augenblick an Bord des verirrten Heighliners ausgefragt. Die Gilde schien sich große Sorgen über die Herkunft der vergifteten Melange zu machen, aber auch Rhombur und Gurney hatten keine Antworten.
Als kleines Zeichen des Protests hatten sich die Männer nicht mehr rasiert. Gurneys Bart wuchs blass und ungleichmäßig über seiner Inkvine-Narbe, während der des ixianischen Prinzen auf der lebenden Seite seines Gesichts etwas dichter und länger war, wodurch er sich das Recht auf Prahlereien herausnahm.
Das graue, buckelförmige Gebäude, in dem die Besucher untergebracht waren, enthielt eine seltsame Mischung aus Zellen mit Metallgittern, Büros und Atelierwohnungen. Überall waren unterschiedlich gut getarnte Komaugen, und die Passagiere wurden ständig von Mitarbeitern der Gilde überwacht.
Alle Gebäude in diesem Bereich sahen sehr alt aus. Sie waren häufig repariert und umgebaut worden und wiesen keinen Zierrat auf. Man hatte sie ausschließlich nach praktischen und funktionellen Gesichtspunkten konstruiert.
Aus versteckten Lautsprechern drang eine dröhnende Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen schien. »Hiermit sind alle Passagiere frei. Bitte begeben Sie sich zum zentralen Abfertigungsterminal, um die Einzelheiten Ihres Weitertransports zu klären.« Nach einer Pause fügte die Stimme hinzu, als hätte sie unter dem Redetext eine Fußnote entdeckt: »Wir bedauern die Unannehmlichkeiten, die Ihnen bereitet wurden.«
»Ich werde dafür sorgen, dass unsere Gondel verladen wird – und wenn ich sie auf den eigenen Schultern tragen muss«, sagte Gurney.
»Wahrscheinlich wäre ich für solche Plackereien besser ausgestattet, mein Freund – falls es soweit kommt.« Rhombur marschierte mit energischen Schritten zum zentralen Abfertigungsterminal. Er wolle nach Hause und endlich in den Kampf ziehen.
Die Schlacht um Ix stand kurz bevor.